Angola leidet unter einem eklatanten Mangel an heimischen Fachkräften. Nach dem mit Öldollars importierten Wirtschaftsboom vom Kriegsende 2002 bis zum Beginn der „Ölpreiskrise“ 2014 mussten vielfach qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland angeworben werden. Als Fachkräfte zählten dabei auch schon mal Elektriker, Automechaniker und Monteure beim industriellen Bau. In der Folge spaltete sich die Wirtschaft in moderne städtische Sektoren auf der einen Seite, in denen der Import von Technik und Fachkräften ein Bild von Fortschritt entstehen ließ, und in abgehängte Sektoren auf der anderen Seite, in denen all das fehlte. Während heute einige städtische Zentren boomen, stagniert die Wertschöpfung auf dem Land. Bauern sind zu wenig in den nationalen Markt integriert.
Die Kluft zwischen Stadt und Land behindert auch politische Beteiligung, da ein großer Teil der Bevölkerung isoliert und verarmt ausgegrenzt wird. Die Landflucht geht weiter und mit ihr Slumbildung in den Städten. Schon entstehen soziale Konflikte zwischen einer abgehängten Jugend und angeworbenen, oft besser qualifizierten Einwanderern. Viele von ihnen kommen inzwischen auch auf eigene Initiative – aus China, Bulgarien oder Portugal und zunehmend aus muslimischen Ländern wie Mauretanien und Marokko.
Umsteuern ist nötig – ländliche Entwicklung muss mehr Gewicht bekommen. Ein Schlüssel dazu heißt ländliche Berufsausbildung. Dabei geht es nicht nur um die Förderung einer modernen Landwirtschaft, sondern auch darum, die ohnehin stattfindende Abwanderung von ländlichen Jugendlichen in die Städte sinnvoll und produktiv zu gestalten – nicht zuletzt auch für die Dörfer. Die Erfahrung lehrt, dass viele gut ausgebildete Fachkräfte mit ländlichem Hintergrund bemüht sind, aus der Stadt heraus geschäftliche Verbindungen mit dem Land aufzubauen und die ihnen bekannten dortigen Potentiale für den Markt zu erschließen. Beispiele dafür sind Aufkäufer für Agrarprodukte, Servicebetriebe zur Wartung von landwirtschaftlichen Maschinen und Landhändler, die von der Stadt aus arbeiten. Die Entwicklung des Stadt-Land-Austausches ist ein Garant für höhere Wertschöpfung – und er braucht ausgebildete Fachkräfte, die das Land kennen. Mehr Verarbeitungsschritte auf dem Land durch Kleinindustrie und Handwerk können einen besseren Anschluss der Agrarproduktion an die Verarbeitungsindustrie sichern. So kommen lokale landwirtschaftliche Produkte in den nationalen Wirtschaftskreislauf und Einkommen fließt zurück in die Dörfer.
Insbesondere die Position der Frauen wird durch das Angebot moderner Einkommensmöglichkeiten gestärkt. Denn für sie ist es besonders schwer, aus dem engen Kreis der dörflichen Traditionen auszubrechen. Haben sie jedoch eine Ausbildung, zum Beispiel als Informatikerin, Sekretärin mit EDV-Kenntnissen oder professionelle Bäckerin, können junge Frauen und Mädchen aus dem Dorf in der Stadt Fuß fassen und bekommen dafür sogar manchmal die ‚Freigabe‘ durch die Eltern – denn sie erhoffen sich Unterstützung aus der Stadt.
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Gemeinsam mit angolanischen Partnern fördert OIKOS in den Provinzen Kwanza Sul, Cabinda, Huíla und Cunene Berufsausbildungszentren. Das Ausbildungsprofil ist besonders auf den Bedarf des ländlichen Raums ausgerichtet: Für die Jugendlichen werden Ausbildungskurse als Tischler, Mechaniker, Elektriker, Schneider, Koch und Bäcker angeboten. Wer trotz Krieg eine gute Schulausbildung bekommen hat oder sie nachholen konnte, kann eine Ausbildung als Informatiker und Buchhalter erhalten.
In der Hafenstadt Porto Amboim entstehen zwar Bürohochhäuser ansässiger Erdölfirmen.
Die meisten Bewohner haben von diesem Wirtschaftsboom aber nicht viel zu erwarten.
Rebeca Chicumbi aus dem Dorf Bisappa im Caconda-Bergland ist gerade 16 Jahre alt geworden und hin- und hergerissen zwischen ihren Zukunftsvorstellungen. Einerseits will sie so schnell wie möglich weg aus dem Dorf. Sie hat mitbekommen, dass sie an einen Mann aus dem Nachbardorf verheiratet werden soll, nur ihre Mutter schützt sie noch.
Ihre Mutter ist die Hauptfrau des Sobas (Dorfältesten), deshalb kann sie sich das leisten, auch weil sie eine starke Frau ist und schon lange eine eigene Landwirtschaft betreibt. Aber mit jedem Tag fühlt sich Rebeca unsicherer. Ihre Hoffnung ist nun die Kreishauptstadt Caconda. Dorthin will sie gehen. Es soll dort ein neues Berufszentrum geben. Vielleicht kann sie dort etwas lernen, um in der großen Stadt Lubango eine Arbeit zu finden. Andererseits hat sie Angst vor der neuen Welt da draußen. Sie kennt niemanden aus dem Dorf, der es je dorthin geschafft und eine Arbeit gefunden hätte.
An diesem Morgen herrscht Aufregung im Dorf. Aus Caconda ist eine Gruppe von Leuten gekommen, die sich als Team von OJDS vorstellen, eine Hilfsorganisation mit dem Namen Organização Juvenil Para O Desenvolvimento Social (Jugendorganisation für soziale Entwicklung). Sie haben das Berufsausbildungszentrum in Caconda mit Hilfe eines OIKOS-Projektes aufgebaut und reisen nun durch die umliegenden Dörfer, um die Eltern zu überzeugen, ihre Kinder, und besonders auch Mädchen, dorthin zu schicken.
Wie immer treffen sich zu der Beratung die Männer des Dorfes, aber auch die Frauen lassen es sich nicht nehmen und setzen sich an der Seite mit dazu. Rebeca und viele andere Jugendliche verfolgen das Treffen ganz am Rand.
Wie zu erwarten haben die Erwachsenen zuerst Bedenken. Sie brauchen die Hilfe ihrer Kinder auf dem Feld, und Mädchen in die Stadt lassen – das geht gar nicht. Dann steht ihre Mutter auf, schon ihre Körperhaltung zeigt, dass sie den alten Männern die Leviten lesen will. „Glaubt ihr denn, dass das ewig so weiter gehen kann, nur Mais und Bohnen im Feld und kein Geld in der Kasse, während das Land vorwärts marschiert? Wir müssen etwas aufbauen, was wir verkaufen können, etwas mit Wert, Kaffee zum Beispiel. Ich für meinen Teil will 30.000 Kaffeepflanzen anbauen. Aber damit ist es nicht getan. Wir brauchen eine Kaffeeschälmaschine und eine Mühle, einen Traktor und einen Generator, aber wer wird das alles warten? Wir müssten die Qualität des Kaffees verbessern, härter mit den Aufkäufern verhandeln, sonst hauen die uns übers Ohr und wir verdienen nichts. Aber das geht nur im Verbund, mit einer Kaffeegenossenschaft. Die aber braucht ausgebildete Leute, die etwas von Buchhaltung verstehen, mit Behörden verhandeln und Briefe schreiben. Unsere Kinder müssen etwas lernen, um unsere Höfe voranzubringen. Also, ich habe beschlossen, dass meine Tochter Rebeca auf diese Berufsschule gehen darf. Sie wird bei unserer Tante wohnen.“
Moderne Informationstechnologien verändern die Berufsbilder in den Städten und selbst auf dem Land. Die landesweite Verlegung der „Fibra otica“ – Glasfaserkabel – wurde zum Symbol des Internetausbaus. Behörden, Banken und Büros stellen auf EDV um. Besonders stark nachgefragt ist deshalb die Informatikausbildung.
In Kursen für Landwirte erhalten die Azubis eine Ausbildung in moderner Landwirtschaft und Gartenbau – moderne Bewässerungstechniken, nachhaltige organische Bodenverbesserung und Mechanisierung mit Traktor und Mühlen eingeschlossen. Diese Kenntnisse erlauben ihnen den Aufbau einer eigenen modernen Farm oder die Arbeit auf den neu entstehenden Groß-Fazendas.